Berlin am Meer
Schön, wenn es so wär! Ich bin trotzdem hingefahren, nach Berlin
an der Spree, mit dem Zug, wie immer. Ja, ich fahre gern mit der Bahn, weil
es so schön umweltfreundlich ist und weil man in der Regel eine Menge
Platz hat und, wie eine Bahn-eigene Anzeige ausnahmsweise richtig darstellt,
entweder
einschalten und etwas Produktives tun oder
abschalten
und ausruhen kann. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werde ich
auch weitehin mit dem Zug reisen, einfach weil mich Autofahren krank macht.
Deswegen nehme ich auch weiterhin die endlosen Schlangen vor den paar
offenen Schaltern hin, um den Inhalt meines Portemonnaies bei den total
planlosen Service-Whores gegen ein horrend teures kleines
Papier-Scheinchen einzutauschen. Während ich dann einen Halbmarathon
zum Bahnsteig (Es heißt übrigens offiziell
aus Gleis 1
abfahren
- Darauf könnt ihr gern wetten ;) durchsprinte und dabei überlege,
ob das schon erwähnte Schalter-Personal auch genau das auf mein
Pappscheinchen gedruckt hat, nach dem ich verlangte, und ob die
DB-Kultur-Redaktion
wohl schon die neue
BravoHits 99-CD (die Klassik-Platten sind
schließlich alle in Hamburg im Einsatz, um dort die Penner zu
vertreiben) fürs Audio-Programm
ausgewählt hat, macht sich die lückenlose
Kamera-Überwachung für die dauerhafte Sicherung meiner Gesundheit
bezahlt und bittet mich unfreundlich und bestimmt, das Rauchen einzustellen.
Wieder zu Atem gekommen, dazu hatte ich schließlich dank der halben
Stunde Verspätung, dessen Existenz mir erst bei Ankunft auf dem
Bahnsteig bewßt wurde, genug Zeit, werde ich von den Horden
Bahn-Fahr-N00bs (Nein, ihr könnt meine Kopfhörer nicht
haben, so etwas verleiht die Bahn nicht einfach, ihr müßt eure
eigenen mitbrigen, so wie ich), die sich wie ich die Dreizwanzig für
einen
reservierten Sitzplatz gespart haben, wie die Pistazie zwischen dem Fleisch
in der Wurst, in den schon längst
überfüllten Zug gequetscht. Spätestens wenn ich mich nach
einer langen Odysse der Sitzplatz-Suche (allerdings habe ich noch immer
einen gefunden) auf das weiche Kissen (man muß es sich nur vorstellen)
bette und sich endlich die ICE2-Türen schließen (da leisten die
mobilen Reparatur-Teams immer ganze Arbeit, sie haben ja auch schon eine
Menge Erfahrung dabei) kann ich einfach nicht anders als an EinsZwos
Unschuld vom Lande zu denken. Puh!
Berlin. Mich verbindet eine unglaubliche Haß-Liebe mit Berlin. Ich
verabscheue die Millionen Tretminen, die jeden Spaziergang zu einem
Hindernislauf kreuz und quer über den Bürgersteig werden lassen
und überhaupt den ganzen Müll und Dreck. Jeder Mülleimer im
Park oder Papiercontainer an der Straße wird von den Bürgern
sofort zu einer großen Mülldeponie ausgeweitet. Immerhin gibt es
in Berlin seperate "Kippen-Öffnungen" an den Mülleimern,
und, wenn mal keiner in der Nähe ist und man seine Zigarette auf dem
Boden ausdrückt, wird man nicht wie in der Münchner Innenstadt
öffentlich ausgepeitscht. Es hat eben alles ein Für und Wider in
Berlin, z. B. die größte Berliner Seuche: Die
Straßencafés. Wenn man einmal nicht einem Hundehaufen
ausweichen muß, dann den Stühlen samt Gästen eines
Cafés. Gut, man bekommt wirklich überall einen (nicht gerade
guten und nicht gerade billigen) Kaffee, aber bis es einmal so weit ist und
die
gaffende Meute Menschen um einen herum für einen kurzen
Augenblick den Mund
voll haben, dauert es ewig.
Ja, die Leute. Alle im Kiez, welcher per
Definition meist gar keiner
ist, sind jung, dynamisch, modebewußt und
überhaupt total trendy und szenig und immer gezwungen locker. Und
andauernd wird man von einem dieser Ä***** angequatscht - Da lobe ich
mir doch das wunderschöne Hamburg, wo man sich das Lachen und Grinsen
noch für die Momente bewahrt, in denen es auch wirklich angebracht ist
und nur etwas sagt, wenn man auch etwas zu sagen hat. Wie gut, daß es
neben den Eingeborenen auch viele Zugezogene, wie das sehr liebevolle junge
Eltern-Paar aus dem Norden, welches ich besucht habe, gibt.
Aber ich gebe zu, mich reizt auch einiges an Berlin, wie zum Beispiel die
große kulturelle Vielfalt, die Tatsache, daß man in Berlin fast
alles findet, so man es denn auch findet. Daß tatsächlich jeden
Tag Neues entsteht und man jeden Tag Neues entdeckt könnte mich an
Berlin binden und gibt mir immer ein kleines Gefühl der Freiheit, wenn
ich dort
bin.
Ich bin nicht nur nach Berlin gefahren um nach Belegen für meine
Vorurteile zu suchen oder zu faulenzen und mich von Freunden aushalten zu
lassen. Im Februar
empfahl Telepolis,
zwei Ausstellungen in Berlin zu besuchen. Zum Teil bin ich diesem Ruf
gefolgt.
Im Martin-Gropius-Bau präsentierte bis gestern das Deutsche Filmmuseum
eine
Ausstellung mit
Primärmaterialien aus dem Nachlaß von
Stanley Kubrick. Zu
all seinen großen Kinofilmen und zum Teil seinen unvollendeten
Projekten
wurden Original-Requisiten, Kostüme, Fotos, Zeichnungen/Skizzen,
Drehbücher und
-pläne sowie einige Modelle der Kulissen ausgestellt. Außerdem
konnte man diverse Kameras, Effektgeräte und andere Arbeitsmaterialien
ansehen.
Für jeden Kino-Freund sollte die Ausstellung wie eine riesige
Schatzkiste gewesen sein, in der man viele interessante Dinge, die man aus
Kubricks Filmen kannte oder aber vorher noch nicht wahrgenommen hatte,
entdecken konnte. Ich hatte das Gefühl, in einem Schuhkarton voller
Fotos aus der Kindheit zu wühlen und mich dabei an viele schöne
Erlebnisse zu erinnern. Aber da Ganze hatte leider auch einen bitteren
Beigeschmack für mich, als ob ich mich nicht mehr erinnern konnte, zu
welchem Zeitpunkt das entsprechende Foto gemacht wurde. Alle Objekte richtig
einzuordnen und einen Gesamtüberblick über den jeweiligen Film und
das Umfeld der Entstehung seiner individuelle Bildsprache zu bekommen
dürfte sicher nur Besuchern geglückt sein, die sich schon vorher
intensiv mit Kubrick beschäftigt hatten.
Für mein Empfinden war die Ausstellung viel zu dokumentarisch aufgebaut
und mir fehlten ausführliche Begleittexte und Bildunterschriften. Auch
der Umfang der Materialien erscheint mir außer bei
2001 als zu
gering, als daß man das Konzept hinter Design und Ästhetik des
jeweiligen Films ansatzweise begreifen könnte. Vielleicht wäre der
Besuch der Ausstellung "Bewegte Räume. Production Design und
Film" aufschlußreicher gewesen. Aber trotz allem war es hoch
interessant und bis zum 19. 6. habe ich ja noch noch Gelegenheit dazu.
Ein Stockwerk tiefer war übrigens eine Ausstellung zum
Kriegs-Photograph
Robert Capa zu sehen, über den letztens auch eine interessante
Dokumentation im Fernsehen lief. Und ganz in der Nähe ist ja auch noch
das
Jüdische Museum.
Berlin, ich komme wieder, mit der Bahn, wenn es sein muß.
Dieser Text spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung
des Autors wider und ist sowieso nur erfunden. Also kein Grund, zu
meckern.