April 19, 2005 7:31

Berlin am Meer

Schön, wenn es so wär! Ich bin trotzdem hingefahren, nach Berlin an der Spree, mit dem Zug, wie immer. Ja, ich fahre gern mit der Bahn, weil es so schön umweltfreundlich ist und weil man in der Regel eine Menge Platz hat und, wie eine Bahn-eigene Anzeige ausnahmsweise richtig darstellt, entweder einschalten und etwas Produktives tun oder abschalten und ausruhen kann. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werde ich auch weitehin mit dem Zug reisen, einfach weil mich Autofahren krank macht. Deswegen nehme ich auch weiterhin die endlosen Schlangen vor den paar offenen Schaltern hin, um den Inhalt meines Portemonnaies bei den total planlosen Service-Whores gegen ein horrend teures kleines Papier-Scheinchen einzutauschen. Während ich dann einen Halbmarathon zum Bahnsteig (Es heißt übrigens offiziell aus Gleis 1 abfahren - Darauf könnt ihr gern wetten ;) durchsprinte und dabei überlege, ob das schon erwähnte Schalter-Personal auch genau das auf mein Pappscheinchen gedruckt hat, nach dem ich verlangte, und ob die DB-Kultur-Redaktion wohl schon die neue BravoHits 99-CD (die Klassik-Platten sind schließlich alle in Hamburg im Einsatz, um dort die Penner zu vertreiben) fürs Audio-Programm ausgewählt hat, macht sich die lückenlose Kamera-Überwachung für die dauerhafte Sicherung meiner Gesundheit bezahlt und bittet mich unfreundlich und bestimmt, das Rauchen einzustellen. Wieder zu Atem gekommen, dazu hatte ich schließlich dank der halben Stunde Verspätung, dessen Existenz mir erst bei Ankunft auf dem Bahnsteig bewßt wurde, genug Zeit, werde ich von den Horden Bahn-Fahr-N00bs (Nein, ihr könnt meine Kopfhörer nicht haben, so etwas verleiht die Bahn nicht einfach, ihr müßt eure eigenen mitbrigen, so wie ich), die sich wie ich die Dreizwanzig für einen reservierten Sitzplatz gespart haben, wie die Pistazie zwischen dem Fleisch in der Wurst, in den schon längst überfüllten Zug gequetscht. Spätestens wenn ich mich nach einer langen Odysse der Sitzplatz-Suche (allerdings habe ich noch immer einen gefunden) auf das weiche Kissen (man muß es sich nur vorstellen) bette und sich endlich die ICE2-Türen schließen (da leisten die mobilen Reparatur-Teams immer ganze Arbeit, sie haben ja auch schon eine Menge Erfahrung dabei) kann ich einfach nicht anders als an EinsZwos Unschuld vom Lande zu denken. Puh!
Berlin. Mich verbindet eine unglaubliche Haß-Liebe mit Berlin. Ich verabscheue die Millionen Tretminen, die jeden Spaziergang zu einem Hindernislauf kreuz und quer über den Bürgersteig werden lassen und überhaupt den ganzen Müll und Dreck. Jeder Mülleimer im Park oder Papiercontainer an der Straße wird von den Bürgern sofort zu einer großen Mülldeponie ausgeweitet. Immerhin gibt es in Berlin seperate "Kippen-Öffnungen" an den Mülleimern, und, wenn mal keiner in der Nähe ist und man seine Zigarette auf dem Boden ausdrückt, wird man nicht wie in der Münchner Innenstadt öffentlich ausgepeitscht. Es hat eben alles ein Für und Wider in Berlin, z. B. die größte Berliner Seuche: Die Straßencafés. Wenn man einmal nicht einem Hundehaufen ausweichen muß, dann den Stühlen samt Gästen eines Cafés. Gut, man bekommt wirklich überall einen (nicht gerade guten und nicht gerade billigen) Kaffee, aber bis es einmal so weit ist und die gaffende Meute Menschen um einen herum für einen kurzen Augenblick den Mund voll haben, dauert es ewig.
Ja, die Leute. Alle im Kiez, welcher per Definition meist gar keiner ist, sind jung, dynamisch, modebewußt und überhaupt total trendy und szenig und immer gezwungen locker. Und andauernd wird man von einem dieser Ä***** angequatscht - Da lobe ich mir doch das wunderschöne Hamburg, wo man sich das Lachen und Grinsen noch für die Momente bewahrt, in denen es auch wirklich angebracht ist und nur etwas sagt, wenn man auch etwas zu sagen hat. Wie gut, daß es neben den Eingeborenen auch viele Zugezogene, wie das sehr liebevolle junge Eltern-Paar aus dem Norden, welches ich besucht habe, gibt.
Aber ich gebe zu, mich reizt auch einiges an Berlin, wie zum Beispiel die große kulturelle Vielfalt, die Tatsache, daß man in Berlin fast alles findet, so man es denn auch findet. Daß tatsächlich jeden Tag Neues entsteht und man jeden Tag Neues entdeckt könnte mich an Berlin binden und gibt mir immer ein kleines Gefühl der Freiheit, wenn ich dort bin. Ich bin nicht nur nach Berlin gefahren um nach Belegen für meine Vorurteile zu suchen oder zu faulenzen und mich von Freunden aushalten zu lassen. Im Februar empfahl Telepolis, zwei Ausstellungen in Berlin zu besuchen. Zum Teil bin ich diesem Ruf gefolgt.
Im Martin-Gropius-Bau präsentierte bis gestern das Deutsche Filmmuseum eine Ausstellung mit Primärmaterialien aus dem Nachlaß von Stanley Kubrick. Zu all seinen großen Kinofilmen und zum Teil seinen unvollendeten Projekten wurden Original-Requisiten, Kostüme, Fotos, Zeichnungen/Skizzen, Drehbücher und -pläne sowie einige Modelle der Kulissen ausgestellt. Außerdem konnte man diverse Kameras, Effektgeräte und andere Arbeitsmaterialien ansehen.
Für jeden Kino-Freund sollte die Ausstellung wie eine riesige Schatzkiste gewesen sein, in der man viele interessante Dinge, die man aus Kubricks Filmen kannte oder aber vorher noch nicht wahrgenommen hatte, entdecken konnte. Ich hatte das Gefühl, in einem Schuhkarton voller Fotos aus der Kindheit zu wühlen und mich dabei an viele schöne Erlebnisse zu erinnern. Aber da Ganze hatte leider auch einen bitteren Beigeschmack für mich, als ob ich mich nicht mehr erinnern konnte, zu welchem Zeitpunkt das entsprechende Foto gemacht wurde. Alle Objekte richtig einzuordnen und einen Gesamtüberblick über den jeweiligen Film und das Umfeld der Entstehung seiner individuelle Bildsprache zu bekommen dürfte sicher nur Besuchern geglückt sein, die sich schon vorher intensiv mit Kubrick beschäftigt hatten.
Für mein Empfinden war die Ausstellung viel zu dokumentarisch aufgebaut und mir fehlten ausführliche Begleittexte und Bildunterschriften. Auch der Umfang der Materialien erscheint mir außer bei 2001 als zu gering, als daß man das Konzept hinter Design und Ästhetik des jeweiligen Films ansatzweise begreifen könnte. Vielleicht wäre der Besuch der Ausstellung "Bewegte Räume. Production Design und Film" aufschlußreicher gewesen. Aber trotz allem war es hoch interessant und bis zum 19. 6. habe ich ja noch noch Gelegenheit dazu.
Ein Stockwerk tiefer war übrigens eine Ausstellung zum Kriegs-Photograph Robert Capa zu sehen, über den letztens auch eine interessante Dokumentation im Fernsehen lief. Und ganz in der Nähe ist ja auch noch das Jüdische Museum.
Berlin, ich komme wieder, mit der Bahn, wenn es sein muß. Dieser Text spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wider und ist sowieso nur erfunden. Also kein Grund, zu meckern.

Author: nille | Permalink | Category: thoughts