November 18, 2005 8:56

Play Fair

Als ordentlicher Computerfreak (naja, das ist vielleicht nicht ganz richtig, aber immerhin lege ich beim Thema Videospiele ein gewisses Nerdtum an den Tag und damit es auch für meine Omi verständlich ist) meide ich natürlich so weit wie möglich jeden realen Kontakt mit Menschen, UV-Strahlung und frischer Luft. Wäre es praktikabel, würde ich wahrscheinlich auch meinen Kaffee online bestellen, anstatt selbst in die Küche zu laufen und selbst einen aufzusetzen, weil es ja so schön einfach ist im WWW.
Ich habe einen iPod, benutze iTunes, was liegt da näher, als auch im iTunes Music Store einzukaufen?! Damit verhalte ich mich natürlich exakt so, wie die Marketing-Leute bei Apple es sich ausgedacht haben, aber ich bin schließlich nicht allein und die Handhabung ist ähnlich einfach wie es Apples Ruf und Werbung suggerieren, jedenfalls einfacher als bei glühender Hitze oder Eiseskälte ins Geschäft zu gehen oder auf den Briefträger mit der CD zu warten, die CD, die man danach nie wieder hervor holt, zu rippen und zu encoden..
Anfangs wollte ich den iTMS einfach nur aus reiner Neugier einmal ausprobieren, aber inzwischen ist es für mich zur Gewohnheit geworden, dort "mal eben ein Album zu kaufen". Mittlerweile reift bei mir allerdings auch die Erkenntnis, durch mein Verhalten auf mehr als nur die CD als Datenträger zu verzichten: Ich kann die Musik nur auf fünf (oder so) authorisierten Windows-PCs oder Macs und dem iPod abspielen - was ich tun werde, wenn einmal ein anderer Player oder ein anderes Format als aac für mich attraktiver wird, weiß ich nicht, außerdem habe ich bis jetzt immer gern Linux und MPlayer benutzt. Ich muß mich nun selbst darum kümmern, ein Backup der Files anzufertigen (der nächste Headcrash kommt bestimmt), von Apples Servern kann man die Dateien nur ein Mal downloaden, CDs kann ich rippen, so oft ich möchte. Ich kann mir auch schwer vorstellen, daß Apple in 50 Jahren, wenn ich gestorben bin, meinen Kindern oder Enkeln so einfach mein .mac-Passwort rausrücken werden, damit sie das gleiche mit den Songs machen könnten, was sie auch mit einer CD täten (vorrausgesetzt, es gäbe in 50 Jahren noch CD-Roms - aber was würde wohl mehr Schwierigkeiten bereiten? ;).
So fair wie der Name suggeriert, ist Apples DRM-System FairPlay in meinen Augen nicht. Ich verstehe ja, daß die Musik-Verwertungs-Industrie nicht bereitwillig digitalisierte Musik "ungeschützt" weg gibt, sodaß sie ohne den geringsten Widerstand den Weg in die P2P-Netze dieser Welt findet. Ich denke aber, daß mir durch keines der bestehenden proprietären DRM-Systeme die Nutzungsrechte eingeräumt werden, die ich hätte, wenn ich mir im Laden eine CD kaufen würde (Un-CDs ausgeschlossen) - Die zynisch ironische Übersetzung Digital Restriction Management scheint also nicht gerade weit hergeholt zu sein! Eigentlich schade, daß niemand aus der Open-Source-Gemeinde frühzeitig auf diese absehbare Entwicklung reagiert hat und sich für ein quelloffenes und wirklich faires DRM eingesetzt hat. Als sich noch vor ein, zwei Jahren Linus Torvalds positiv zu solchen Vorschlägen äußerte, war das Geschreie groß.. Wenn irgendwann in der Zukunft aber gar keine CDs o. ä. mehr verkauft werden, wird aber auch das größte Geschrei nichts mehr nützen, weil sich unfaires DRM dann flächendeckend durchgesetzt haben wird. Leider ist das Thema auch jetzt aktueller denn je, Stichwort Broadcast Flag..
Um mir nicht den Vorwurf der Unfairness einzuhaldeln, weil jemand auf die Idee kommen könnte ich machte die falschen Leute für da Dilemma verantwortlich, hier noch eine Ansage in Richtung der Schreihälse, die meinen, daß der ganze Unsinn nötig sei, weil Menschen wie ich CDs nicht mehr im Einzelhandel kaufen oder eben garnicht mehr kaufen, sondern privat-raubkopieren: Das Problem ist, daß es leider keinen "Einzelhandel" mehr gibt und ich mich genötigt sehe, Musik da zu kaufen wo Geiz als geil und Service als überholt angesehen wird. In solchen Etablissements geht man davon aus, daß die Kunden sich das Produkt, das sie zu kaufen beabsichtigen, nicht mehr vorher anhören wollen, weil sie es ja sowieso schon oft genug in der Werbung, auf ihrem Handy als Klingelton oder in Heavy-Rotation auf MTViva dudeln gehört haben. Dort sind Beratung und Service so mies, daß ich lieber online kaufe und mich mit Warteschleifen in 0900er-Hotlines und Nutzungsbeschränkungen, die mir auferlegt werden, abfinde. So läuft es leider in allen Bereichen: Wenn ich nur könnte, würde ich liebend gern zum Eisenwarenladen um die Ecke (ja, so etwas hat es mal gegeben) gehen, wo ich auch Torx-Titan-Schrauben in allen Formen und Farben bekomme und der Staub genau so hoch wie hinter meinem Schreibtisch liegt, und um jeden Baumarkt, in dem ausschließlich Elektroschrott aus Asien verramscht wird, einen Bogen machen. Wer nach diesem Entry oder der letzten Odysse zu Saturn, Venus oder Mars immer noch nicht genug von käuflicher Musik hat, besitzt, wie ich, eindeutig eine masochistische Ader, sollte sich aber unbedingt auf dem einen oder anderen Wege Radical Connector von Mouse on Mars beschaffen.. Darauf gibt es, wie es sich gehört, etwas Pling, Plong, etwas Noisiges, ein paar schöne Stimmen, die ein wenig am jeweiligen Be-/Empfinden kratzen, immer noch viel Elektro-Popper-Poser-Tum, sodaß man das Ganze ganz zu Recht als IDM betiteln darf.. Meine 99 Cent zu diesem Thema habe ich natürlich nicht einfach so zum Besten gegeben, das Wired Cult-of-Mac-Blog hat hier zuvor ein paar prominente Meinungen dazu gesammelt.

Author: nille | Permalink | Category: kommentar, musik