April 20, 2007 11:39 PM

Adventurer

Achtung! Ab jetzt wird heftig gespoilert..
Screenshot - S.T.A.L.K.E.R.
Hauptsächlich ist S.T.A.L.K.E.R. ein Shooter. Auf der anderen Seite ist das Spiel wie ein riesengroßer Sandkasten - In den man auch noch 1000 Ameisen geschüttet hat.
Sandkasten ist vielleicht der falsche Begriff, eher handelt es sich um ein Diorama, das ein Zauberlehrling zum Leben erweckt hat, eine überdimensionale Modelleisenbahn-Platte, auf der die kleinen Plastik-Bewohner zum Leben erweckt worden sind und ihre Körper vom Styropor-Boden gelöst haben. Das Immersive einer so detailliert gestalteten Welt, die auf verschiedene Arten versucht, einem vorzugaukeln, sie wäre lebendig, macht es zwar möglich, daß man immer wieder wahre Kleinode entdecken und sich an ihrem Anblick erfreuen kann: Mir als Eisenbahn-Freund haben es besonders die verschiedenen Lokomotiven russischer Bauart angetan, aber man kann beispielsweise auch beobachten, wie sich ein Rudel Mutantenhunde über die Überreste eines verstorbenen "Mitspielers" hermacht oder einem verrückten Einsiedler, der sich in mitten eines Minenfeldes in einem ollen Wohnwagen verschanzt hat, auf den Zahn fühlen, man kann Verstecke plündern, deren Standort auf PDAs anderer Stalker verzeichnet ist, oder einfach versuchen, möglichst viele Artefakte zu bergen und zu Geld zu machen. Aber "die Geister, die ich rief" werde ich nun nicht mehr los, denn trotz all dieser Beschäftigungsmöglichkeiten wird einem leider immer wieder schmerzhaft klar gemacht, daß man sich in einem Kriegsgebiet befindet.
Theoretisch kann man zwar vielen Konflikten aus dem Weg gehen, aber gerade im späteren Verlauf des Spiels kann das schnell in Frustration münden. Dann können nämlich auch die NPCs so weit sehen, daß man sich in deren unmittelbarer Nachbarschaft nicht mehr einfach so aufhalten und vor allem umschauen kann. Dann verleitet einen das Spiel dazu, unmoralisch zu handeln, im Gegensatz zu beispielsweise Deus Ex, wo man häufig eine Belohnung bekommt, wenn man sich anderen Charakteren gegenüber hilfsbereit zeigt oder sie einfach nur in Ruhe läßt.
Die realistische Gehgeschwindigkeit, die realistische KI und realistisch berechnete Flugbahnen jedes einzelnen Projektils halten einen zwar in der Regel davon ab, wie Rambo alles nider zu mähen, was sich bewegt, aber nachdem man in einem Areal, das man auch gut hätte umgehen können, aufgeräumt und die letzte halbe Stunde damit verbracht hat, auszuforschen, ob sich etwas interessantes in den verfallenen verlassenen Häusern befindet, und ob man nicht irgendwo aus dem Level ausbrechen kann, erschreckt feststellen muß, daß in seiner unmittelbaren Umgebung die ganze Zeit über röchelnd ein NPC halb tot auf dem Boden gewälzt hat.
Wenn man dann auch noch feststellt, daß man die Person kennt, wenn man festellt, daß sie einen eigenen Namen hat, "Schenja Zyniker", und weiß, daß sie schon mindestens zwei virtuelle Wochen in dieser unwirtlichen Landschaft überlebt und an Erfahrung gewonnen hat, kann man kaum anders, als kurz zu zögern und zu schlucken, bevor man sich wieder ins Gedächtnis gerufen hat, daß es keinen Unterschied macht, ob man der Person den Gnadenschuß versetzt oder sie liegen läßt.. Dann sollte man sich an Peter Lustig halten und abschalten. Dann können die Entwickler sich ihren ganzen "Realismus" hinstecken, wo die Sonne niemals scheint..
Screenshot - S.T.A.L.K.E.R.
Scavenger
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Author: nille | Permalink | Category: games