August 24, 2007 9:23 PM

Die Vergangenheit aufraeumen

Wie es sich für einen A-Blogger-Aspiranten ("Ich will A-Blogger werden anstelle der A-Blogger") gehört, werde ich wohl der zukünftige Besitzer eines angenehm großen Haus und Grundstücks sein.
Wenn ich es als Kind darauf anlegte, daß es in diesem Haus so richtig krachen sollte, brauchte ich eigentlich nur im Laufschritt einige Minuten den Eßtisch umrunden. Dann bekam meine Mutter furchtbar schlechte Laune. Weil dieses Verhalten sie schmerzlich an eine der beiden dominierenden Eigenschaften unserer Familie erinnerte: Die auffällige Häufung von psychischen Erkrankungen. Die andere Kuriosität, die unser Gen-Pool beherbergt, ist der mehr oder weniger stark ausgeprägte Hang zum Messie-tum.
Es gibt wohl kein Mitglied meiner Familie, das nicht mindestens ein Hand voll Klöterkisten besitzt, in denen von der Schraube bis zum DVD-Laufwerk (hint, hint!) alles gelagert wird, was sich irgendwann einmal™ wiederverwenden läßt. Seit geraumer Zeit wohnt meine Mutter allein in besagtem Haus. Das gibt ihr Gelegenheit, nicht nur ein paar Klöterkisten zu unterhalten, sodaß ich dann und wann anrücken muß um ihr beim Entrümpeln zur Hand zu gehen. Ich kann mich des Eindruckes, daß sich die Frequenz meiner Besuche mit zunehmendem Alter ebenfalls erhöht und ich ahne, daß mir in den kommenden Jahren (nicht unbedingt in den nächsten 5-10, aber mit Sicherheit irgendwann) noch Einiges blüht.
Auf der anderen Seite gestattete mir der Leerstand des halben Hauses den Luxus, mich vor meinem Auszug nicht von meinen Kinder-Spielzeugen trennen zu müssen. So kommt es, daß heute ein Haufen schöner Erinnerungsstücke meiner Kindheit erhalten geblieben sind: Kisten voller Modell-Autos, Lego- und Fischer-Technik, Schlittschuhe, zwei Quadratmeter Modelleisenbahn, Kuscheltiere, und so fort - entweder Made in West Germany oder in einem Volkseigenen Betrieb der DDR.
All diese Dinge rufen ansonsten fast verblichene Ereignisse in das Gedächtnis, an die ich mich im Alltag, wenn ich nicht gerade beim Aufräumen des Dachbodens bin, so gut wie niemals erinnere. Spielzeug Der Hauptdarsteller meines Kopf-Kinos ist in den meisten Fällen weder eine Mutter, noch mein (leiblicher) (Roboter-)Vater. Der hat sich in Rekordzeit aus meinem Leben verabschiedet und ich glaube nicht, daß es einem Menschen noch viel egaler sein kann, was mit seinem Kind passiert, als ihm.
Ganz im Gegenteil zu der Person, die der Stifter der vielen Spielzeuge und den damit verbundenen Erinnerungen war: Peter. Obwohl Peter wohl ziemlich konservativ gewesen ist, er war in einem bekannten Verlag tätig und wenig begeistert davon, dasß seine Auszubildenden, die von einer Gesamtschule kamen, ein wenig die bildungsbürgerliche Erziehung vermissen ließen, hat er mich damals sehr verzogen verwöhnt.
Sofern er am Abend heil von der Arbeit aus Hamburg nach Hause kam (und seinen Lancia Turbo nicht im Sekundenschlaf über die Leitplanke jagte), konnte man entweder nach Herzenslust mit ihm toben. Es kam allerdings auch häufiger vor, daß er dann gleich mit Migräne ins Bett ging.
Freitags standen die Chancen nicht schlecht, daß er mir einen Eisenbahn-Wagon, mit dem wir am folgenden Tag die Eisenbahnplatte bestücken konnten, ein C64-Game, durch das wir uns viereckige Augen holten, oder ein Lego-Spielzeug mitbrachte, damit ich am Sonntag in irgend einem Restaurant die Klappe hielt und nicht sofort anfing zu quängeln. Im Urlaub ging es zünftig zu und, wie die angenagelten Embleme an dem kleinen Wanderstock informieren, nach Pfronten ins Allgäu oder in den Harz nach Bad Sachsa.
Es handelt sich leider nicht um einen Zufall, daß diese beiden Orte auch eine Dialyse beheimaten. Und als es eines Morgens wieder auf große Fahrt gehen sollte, war er dazu leider nicht mehr im Stande. Da hatte er bereits eine noch viel größere Fahrt angetreten. Wenn jetzt eines meiner Erinnerungsstücke unter dem Gewicht von Mutterns Ramsch-Kartons zu Bruch geht oder ich eine Weihnachtskarte unter dem Staub von 17 Jahren hervor ziehe, wird mir plötzlich klar, daß ich ihn noch nie so sehr vermißt habe, wie heute. zerbrochenes Spielzeug

Author: nille | Permalink | Category: me, myself & i