Networker
Arme Kinder! Als ich in den Kindergarten ging, gehörte die
Brio-Holz-Eisenbahn zur Grund-Ausstattung der meisten Kinderzimmer und
-betreuungseinrichtungen.
So weit ich mich erinnere, war die Eisenbahn bei fast allen Kindern erste
Wahl, wenn das Wetter es nicht erlaubte, draußen Jagd auf Kreuzottern,
"Vogelspinnen" und anderes exotisches Getier zu machen. -
Jedenfalls so lange wir "die Großen", die die ebenfalls
großen Bauklötze für ihr Spiel mit ihren He-Man-Figuren
dauerhaft okkupierten, noch nicht abgelöst hatten.
Wenn mindestens eine Lokomotive und ein paar Waggons für jeden
Teilnehmer zur Verfügung standen, lief das Spiel in der Regel auch
ziemlich friedlich ab - Nachdem die hierarchisch wichtigsten Rollen wie
Bahnhofsvorsteher und Schrankenwärter besetzt waren.
Man fuhr Zug. Man hielt an Schranke oder Bahnhof. Man koppelte einige seiner
eigenen Waggons ab und die seiner Freunde und Spielkameraden wieder an. Dann
ging es auf einer anderen Route weiter. Und alle waren glücklich und
froh oder so ähnlich.
Bis heute habe ich nie einen Gedanken darauf verwandt, daß sich am
Spielen mit Holzeisenbahnen in
absehbarer Zeit in westeuropäischen Kindergärten und -zimmern
etwas verändern könnte. Ich hatte den Eindruck, die Brio-Eisenbahn
sei ein Monolith der Spielzeug-Geschichte.
Bis heute. Nachdem ich entsetzt bei
heise las, daß
die Firma Brio anscheinend von Google oder dem
Tron Guy unterwandert wurde
und die Holz-Eisenbahn nun in
Network-Spielzeug
1.0
umwandelt.
Die Unschuld ist aus den Kinderzimmern verdrängt, spielende Kinder
sollen zu Net-Workern umerzogen werden. Bevor ein (Daten-)Zug seine Mails
beim Server abliefern darf, muß er erst einmal an dem Kind vorbei,
daß die Firewall spielt, und ständig mit der Angst leben, von
attackierenden Viren gehijacked zu werden..
Kann man den Kindern dieses grausame Szenario nicht wenigstens bis nach der
Kindergarten-Zeit ersparen?
Warum meinen die Spielzeug-Fabrikanten, die Eisenbahn allein könne bei
Kindern nicht mehr genug Faszionation auslösen? Wenn ich damals bei meinen
Großeltern war, wollte ich nie etwas anderes als stundenlang von der
"Kamel-Brücke" (Tabak-Werbung war damals in der
Öffentlichkeit noch erlaubt) aus die rangierenden Züge zu beobachten, obwohl es noch nicht einmal den ICE
gab. Meinen größten Schatz, die H0-Modell-Eisenbahn hege und
pflege ich bis heute (in unregelmäßigen Abständen)..