November 17, 2006 7:57 PM

Networker

Arme Kinder! Als ich in den Kindergarten ging, gehörte die Brio-Holz-Eisenbahn zur Grund-Ausstattung der meisten Kinderzimmer und -betreuungseinrichtungen. So weit ich mich erinnere, war die Eisenbahn bei fast allen Kindern erste Wahl, wenn das Wetter es nicht erlaubte, draußen Jagd auf Kreuzottern, "Vogelspinnen" und anderes exotisches Getier zu machen. - Jedenfalls so lange wir "die Großen", die die ebenfalls großen Bauklötze für ihr Spiel mit ihren He-Man-Figuren dauerhaft okkupierten, noch nicht abgelöst hatten.
Wenn mindestens eine Lokomotive und ein paar Waggons für jeden Teilnehmer zur Verfügung standen, lief das Spiel in der Regel auch ziemlich friedlich ab - Nachdem die hierarchisch wichtigsten Rollen wie Bahnhofsvorsteher und Schrankenwärter besetzt waren.
Man fuhr Zug. Man hielt an Schranke oder Bahnhof. Man koppelte einige seiner eigenen Waggons ab und die seiner Freunde und Spielkameraden wieder an. Dann ging es auf einer anderen Route weiter. Und alle waren glücklich und froh oder so ähnlich. Bis heute habe ich nie einen Gedanken darauf verwandt, daß sich am Spielen mit Holzeisenbahnen in absehbarer Zeit in westeuropäischen Kindergärten und -zimmern etwas verändern könnte. Ich hatte den Eindruck, die Brio-Eisenbahn sei ein Monolith der Spielzeug-Geschichte. Bis heute. Nachdem ich entsetzt bei heise las, daß die Firma Brio anscheinend von Google oder dem Tron Guy unterwandert wurde und die Holz-Eisenbahn nun in Network-Spielzeug 1.0 umwandelt.
Die Unschuld ist aus den Kinderzimmern verdrängt, spielende Kinder sollen zu Net-Workern umerzogen werden. Bevor ein (Daten-)Zug seine Mails beim Server abliefern darf, muß er erst einmal an dem Kind vorbei, daß die Firewall spielt, und ständig mit der Angst leben, von attackierenden Viren gehijacked zu werden.. Kann man den Kindern dieses grausame Szenario nicht wenigstens bis nach der Kindergarten-Zeit ersparen? Warum meinen die Spielzeug-Fabrikanten, die Eisenbahn allein könne bei Kindern nicht mehr genug Faszionation auslösen? Wenn ich damals bei meinen Großeltern war, wollte ich nie etwas anderes als stundenlang von der "Kamel-Brücke" (Tabak-Werbung war damals in der Öffentlichkeit noch erlaubt) aus die rangierenden Züge zu beobachten, obwohl es noch nicht einmal den ICE gab. Meinen größten Schatz, die H0-Modell-Eisenbahn hege und pflege ich bis heute (in unregelmäßigen Abständen)..
Network-Spielzeug 1.0

Author: nille | Permalink | Category: games, me, myself & i