May 16, 2007 6:08 PM

Freie Bahn mit Marzipan

Manchmal fühle ich mich allein und fremd in der deutschen Gesellschaft. Gegen Vorratsdatenspeicherung und Bundestrojaner gehen hierzulande die wenigsten Menschen auf die Barrikaden, wollte man dagegen die Autobahnen abreißen, die Leute würden eine Lichterkette von Hamburg bis nach München bilden. Die Vorstellung, die meisten Menschen von Verkehr und Reisen haben, ist doch im wahrsten Sinne des Wortes märchenhaft. Märchenhaft sind auch Don Alphonsos Beschreibungen seiner Reisen in offenen Roadster auf einsamen, gewundenen Paßstraßen zum Garda-See im GT Blog.
Es werden Milliarden in eine neue Brücke und einen neuen Tunnel "investiert", um die Illusion zig-tausender Menschen aufrecht zu erhalten, sie könnten auf solch eine Art und Weise am Wochenende einen Ausflug an die Ostseeküste unternehmen - Im Stau werden sie dennoch stehen, denn es wird nicht für jeden Einzelnen eine eigene Fahrspur geben können. Den Wunsch, ganz individuell seine Reiseroute und -geschwindigkeit bestimmen zu wollen, halte ich nicht für unverschämt egoistisch; aber wenn mehrere Menschen das gleiche Ziel haben, ist doch nichts weniger rational als die Idee, jeder solle in seinem eigenen Fahrzeug mit individueller Geschwindigkeit die Strecke bewältigen.
Die Individualität des Verkehrs hat auch spätestens dann ein Ende, wenn einem auf der Transit-Strecke Hamburg-Berlin einfällt, daß man auf den Pott gehen muß. So groß das Bedürfnis auch sein mag, im nächsten kleinen Ort an zu halten, würde jeder Verkehrsteilnehmer so handeln, wäre die Reise-Geschwindigkeit wahrscheinlich so hoch wie zu Zeiten des Mittelalters. Zudem mag ich die Art und Weise nicht, wie man im Auto transportiert wird. An den Gurt gefesselt, sitzt man ohne die Möglichkeit, auf zu stehen und herum zu laufen, eingepfercht in einem nicht gerade voluminösen Raum. Nur ein paar Millimeter Blech trennen einen von dem röhrenden Motor, Abgasen und dem dringendem Bedürfnis des Autofahrers hinter einem, seine Fahrt mit 200 Kilometern in der Stunde fortsetzen zu können.
Als Autofahrer muß man städig lenken, bremsen, beschleunigen, auf den übrigen Verkehr achten, die Spur wechseln.. Wie man da noch ein Auge auf die Landschaft haben kann, ist mir ein Rätsel. Aber ich habe auch keinen Führerschein. Trotzdem behaupte ich, daß man mehr von den Burgen im Saale-Tal sieht, wenn man sanft auf Schienen chauffiert wird als bei einer Schüttel-Partie über die "Straßen". Ganz zu Schweigen von der Autobahn: Von dort aus sieht man ein Blech-Schild und mit Glück die Wartburg in Größe seines Daumennagels. Trotz allem wünsche ich jedem Autofahrer viel Spaß und, daß er oder sie nicht in die Situation kommen möge, mit einem dringenden Bedürfnis hinter dem Reisebus mit der Senioren-Reisegruppe auf der Autobahnraststätte ein zu laufen.
Und den Reisenden, der im Zug mürrisch auf seiner trockenen Brezel kaut und sich über das Geschrei der herum turnenden Bälger ärgert, bitte ich um Mitleid für die vielen Kinder, die sich täglich allein im Fond eines Autos zu Tode langweilen. Vielleicht werden die ja später einmal die Vorzüge des Transportes, vorbei an Pendler-Staus, direkt ins Zentrum der Ortschaften, zu schätzen wissen und dem Öffentlichen Verkehr eine Lobby geben. Wer denkt, ich hätte das alles falsch verstanden, möge mich bitte eines Besseren belehren.
Oder die geheime bewaffnete Eingreif-Truppe des ADAC informierten, die sich um solche spezeillen Fälle wie mich kümmert ;P

Author: nille | Permalink | Category: thoughts, me, myself & i